(Kampagne 2013 / 2014)

In Deutschland leben hunderttausende Menschen ohne Krankenversicherung und damit ohne Zugang zu regulärer Gesundheitsversorgung. Betroffen sind Menschen, die

  • keinen oder keinen sicheren Aufenthaltsstatus haben (Illegalisierte)
  • sich im Asylverfahren befinden
  • als EU-Bürger*innen legal in Deutschland leben, aber keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung haben und weder hier noch im Herkunftsland ausreichend krankenversichert sind und sich privat versichern müssen und ihre Beiträge nicht bezahlen können.

(Wir sprechen von Menschen ohne Papiere oder Illegalisierten, da der häufig verwendete Begriffe „Illegale“ nicht geeignet ist, die Lebenssituation von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus zu beschreiben. Illegal impliziert, jemand habe sich eines Verbrechens schuldig gemacht und sei kriminell. Tatsächlich besteht der einzige Gesetzesbruch im Übertreten der ausländerrechtlichen Aufenthaltsbestimmungen)

Was passiert, wenn diese Menschen medizinische Hilfe brauchen?

Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) regelt die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen im Asylverfahren, Geduldeten und vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer*innen. Es umfasst jedoch nur die Behandlung bei akuten oder schmerzhaften Erkrankungen (§4 AsylbLG) und Leistungen, die zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich sind (§6 AsylbLG), d.h. wenn Folgeerkrankungen, Verschlechterungen oder dauerhafte gesundheitliche Beeinträchtigungen drohen. Theoretisch haben also auch Illegalisierte einen Anspruch auf eingeschränkte medizinische Versorgung. Dieser scheitert jedoch daran, dass für ambulante Behandlungen vom Sozialamt ein Krankenschein ausgestellt werden muss. Sozialämter sind als öffentliche Stellen (genauso wie Standesämter, Arbeitsämter, Jugendämter und Gerichte) verpflichtet, unverzüglich die Ausländerbehörde zu informieren, wenn sie erfahren, dass sich jemand ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland aufhält (§87 Abs. 2 AufenthG). Diese 1991 eingeführte sogenannte Meldepflicht schließt Illegalisierte noch stärker von der Gesellschaft aus und verhindert, dass sie ihre Rechte (z.B. vor Gericht) einfordern können.

Völkerrechtlich hat sich Deutschland verpflichtet, Voraussetzungen zu schaffen, „die für jedermann im Krankheitsfall den Genuss medizinischer Einrichtungen und ärztlicher Versorgung sicherstellen.“ (UN-Sozialpakt, Art. 12). Theoretisch scheint das durch das Asylbewerberleistungsgesetz sichergestellt, faktisch droht Menschen ohne Papiere bei Inanspruchnahme die Abschiebung.

Wie viele Menschen in Deutschland ohne legalen Aufenthaltsstatus leben ist unklar, Schätzungen liegen bei zwischen 200.000 und 400.000 Menschen. Es gibt viele Gründe, warum Menschen keine gültigen Aufenthaltsdokumente haben. Eine Ursache liegt in den stetigen Verschärfungen des Ausländer- und Asylrechts. Asylanträge werden fast immer abgelehnt, und die meisten Flüchtlinge haben gar nicht erst die Chance eines Asylverfahrens. In ihre Heimatländer können oder wollen sie nicht zurückkehren, weil ihnen Gefahr für ihr Leben droht, ihre Lebensgrundlage zerstört wurde oder sie dort keine Perspektive für sich sehen. Ähnliches gilt für ausreisepflichtige Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge. Es gibt aber auch viele andere Wege in die Illegalität: Tourist*innen bleiben nach Ablauf ihres Visums, Studierende nach Ende ihres Studiums, Familienangehörige reisen ohne Nachzugsberechtigung ein. Arbeitsmigrant*innen kommen ohne Genehmigung, um eine Zeitlang hier Geld zu verdienen. Frauen, die nach einer Trennung kein eigenes Aufenthaltsrecht haben, finden sich genauso in der Illegalität wieder wie Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel.

Und im Notfall?

In einem medizinischen Notfall ist jeder Arzt / jede Ärztin und jedes Krankenhaus verpflichtet, Nothilfe zu leisten. Die Kosten dafür trägt theoretisch das Sozialamt (SGB 12, § 25). Um die Kosten erstattet zu bekommen, muss das Krankenhaus dem Sozialamt gegenüber die Bedürftigkeit der Patient*innen nachweisen. Die Beweislast dafür liegt beim Krankenhaus. Der Antrag muss – vergleichbar mit einem Antrag auf Sozialhilfe – mit Nachweisen über Einkommen, Miete, Kontostand etc. belegt werden. Das ist für Menschen, die in prekären sozialen Situationen leben, bei Bekannten Unterschlupf finden oder stundenweise ohne Anmeldung arbeiten, fast unmöglich. Für Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus ist dies mit vielen Ängsten verbunden, auch wenn die Daten nicht an die Ausländerbehörde weitergeben werden (sog. verlängerter Geheimnisschutz: Die ärztliche Schweigepflicht wird in diesem Falle auch auf Krankenhausverwaltungen und Sozialämter ausgedehnt). Im Jahr 2011 sind in Berlin 90 Prozent dieser Anträge von den Sozialämtern abgelehnt worden. So kommt es immer wieder vor, dass Rettungsstellen Vorkasse verlangen, die Nothilfe verweigern oder gar die Polizei eingeschalten.

Warum ist ohne Krankenversicherung tödlich?

Wer keinen sicheren Zugang zu medizinischer Versorgung hat, kann wichtige Untersuchungen und Behandlungen oft nicht wahrnehmen, oder erst dann, wenn ein medizinischer Notfall eingetreten ist. So werden akute Erkrankungen verschleppt, es kommt zur Chronifizierung und zu Komplikationen bis hin zum Todesfall. Einer von denen, für die „ohne Krankenversicherung“ tödlich war, ist Julio Canales (die taz berichtete am 29/08/2009). Er lebte ohne legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland und traute sich aus Angst vor der Abschiebung trotz einer HIV-Infektion nicht, zum Arzt zu gehen. Als er sich schließlich an die Medizinische Flüchtlingshilfe wandte, die ihn an einen Arzt vermittelte, wurde AIDS im fortgeschrittenen Stadium festgestellt. Heutzutage ist AIDS eine behandelbare Erkrankung, die die Lebenserwartung nicht einschränken muss. Doch Julio Canales verstarb 42-jährig im Krankenhaus.

Daher fordern wir:

Abschaffung der Meldepflicht nach §87 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz!

Gleicher Zugang zu medizinischer Versorgung für alle!